Theodor Gartner an Hugo Schuchardt (111-03459)

von Theodor Gartner

an Hugo Schuchardt

Tschernowitz

21. 01. 1899

language Deutsch

Schlagwörter: Universitätspolitik Wortbildung Universität Innsbrucklanguage Deutsch Demattio, Fortunato Mussafia, Adolf Zieglauer, Ferdinand von

Zitiervorschlag: Theodor Gartner an Hugo Schuchardt (111-03459). Tschernowitz, 21. 01. 1899. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2018). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6614, abgerufen am 16. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6614.


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Verehrter Freund!

Was machen Sie schönes? Wo waren Sie, seit ich die letzte Kunde von Ihnen bekam? Lässt Sie Ihr Leiden doch wohl schon mehr in Ruhe? Meinerseits ist nicht viel zu berichten. Ich bin noch nicht in der Lage zu reisen, kann also nicht viel Gescheites machen. In dem Aufsatze über -chen und -lein (wovon ein Abdruck an Sie abgeht) liegt die Arbeit vieler Mußestunden.1 Sie werden vielleicht sagen, ich hätte das den Germanisten überlassen sollen. Ja, es ist eben eine Untersuchung, für die meine Verhältnisse ausgereicht haben. Überdies muss ich gestehen, |2| dass sie mich sehr lebhaft angeregt hat, wenn sie auch ganz abseits von unserem Fache liegt. Wenn ich nur wieder einmal in der Nähe der eigentlichen Romanen leben könnte. D. in Innsbruck2 soll übrigens jetzt eine Lehrkanzel f. vgl. rom. Ph. wünschen u. die Facultät mit ihm. M.3 in Wien fragt mich, wie die Sache stehe, weiß aber offenbar mehr als ich; denn er schreibt, dass drei ihm werte Freunde dabei in Betracht kommen und dass er sich daher willig einer Beeinflussung enthalte. Mein College Z.4 weiß auch nichts, an |3|D. in I. zu schreiben fällt mir schwer, da er einmal (1893) mich in I. wollte, dann (1894) sich einreden ließ, dass er sich dadurch degradieren würde, und nun (1898) doch wieder die Lehrkanzel will (aber vielleicht mich nicht mehr?). Sie sind doch wohl nicht böse, wenn ich mich da an Sie um Auskunft oder Rath wende. Ihres Wohlwollens habe ich mich schon vor zwei Jahrzehnten erfreut, Ihnen verdanke ich meinen Übertritt zur Hochschule, so darf ich dann auch wagen, Sie in meiner gegenwärtigen Angelegenheit anzusprechen.5

Noch etwas. Ich bekam vor |4| einigen Wochen eine Einladung, an einem Sammelfestwerk für Mussafia mitzuarbeiten. Unterschrieben war niemand, auszugehen schien das vom rom. Seminar in Wien. Ich habe nicht Zeit gefunden, mich um die anonyme Gesellschaft zu erkundigen – und schließlich die Frist versäumt. Ich bitte, soll man sich um die Anonyme kümmern?6

Mit den herzlichsten Grüßen

Ihr

Gartner
Czernowitz, 21. Januar 99.


1 Gartner, „ Die Nachsilben -chen und -lein “, Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des allgemeinen deutschen Sprachvereins 14/15, 1898, 167-176 (nicht in Plangg / Iliescu, 1987).

2 Fortunato Demattio (1837-1899) war in erster Linie Italianist.

3 Adolf(o) Mussafia.

4 Möglicherweise der Historiker Ferdinand von Zieglauer (1829-1906), der als Tiroler in Innsbruck akademisch sozialisiert worden war.

5 Der gesamte Berufungsvorgang, bei dem Gartner schließlich obsiegte, wird dokumentiert von Paul Videsott, „ Jan Battista Alton und die Besetzung der Lehrkanzel in Innsbruck 1899. Quellen zur Geschichte der Romanistik an der Alma Mater Œnipontina “, Ladinia XXXII, 2008, 51-107. Schuchardt bewertet in seiner Stellungnahme Gartner und Cornu gleich.

6 Keine weiteren Informationen; möglicherweise war eine Ehrung (Festschrift) aus Anlaß von Mussafias 65. Geburtstag am 15.2.1900 geplant.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 03459)