Hugo Schuchardt an Anton Bettelheim (14-ÖNB_NLBettelheim_924-1)

von Hugo Schuchardt

an Anton Bettelheim

Graz

21. 12. 1893

language Deutsch

Schlagwörter: Sprachen in Togo Weltsprache Kritik Wissenschaftliche Diskussionen und Kontroversenlanguage Nilo-saharanische Sprachenlanguage Massai Gnad, Ernst von Schuchardt, Hugo (1894) Schuchardt, Hugo (1888) Schuchardt, Hugo (1904)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Anton Bettelheim (14-ÖNB_NLBettelheim_924-1). Graz, 21. 12. 1893. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2018). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6450, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6450.


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ÖNB, NL Bettelheim 924-1
Graz 21 Dez‘ 93

Verehrter Herr Doktor,

Die liebenswürdige Aufnahme die Sie meiner Kritik Ihrer Kritik haben angedeihen lassen,1 nimmt mir einen Stein vom Herzen. Aber wegen des neuerlichen „Hervortretens“ in der bewußten Frage zu der Sie mich wenigstens mit veranlasst haben, kann ich Ihnen keine unbegrenzte Dankbarkeit zollen. Ich |2| will nicht davon sprechen dass mich die Sache voraussichtlich einiges Geld kostet, auch nicht davon dass ich dadurch von anderem abgezogen werde was mir gerade mehr auf der Seele lag; das Wesentliche ist das dass ich um meinen Anschauungen Raum zu schaffen mich wenigstens zu einer halbpopulären Darstellung herbeilassen musste die mit der streng wissenschaftlichen Natur der Kernfrage sich nicht recht verträgt.2 Das eben mache ich |3| dem Freund und Zimmernachbarn zum Vorwurf dass er eine Frage dieser Art vor dem grossen Forum nicht nur zur Sprache bringt, sondern auch gleich entscheidet;3 das seinen Kritikern dass sie ihm ohne weiteres zustimmen. Meyer ist durch den gelben Umschlag meines „Auf Anlass des Volapüks“4 gekitzelt worden; es hat ihn gereizt gegen mich aufzutreten – Sprachphilosophie liegt ihm sonst fern und er macht sich über meine diesbe-|4| züglichen Velleitäten lustig. Sonst wäre er, der Vorsichtige, kaum dem „Homunkulus“ aufgesessen5 und hätte nicht, obwohl er kaum je eine Zeile Indoportugiesisch gelesen hat und ich mich damit seit 12 Jahren beschäftige, mir in Bezug hierauf so keck widersprochen. Nicht bloss Sie und Gnad,6 auch andere Kritiker – die ich nicht genannt habe –, haben von der weltsprachlichen Idee eine feste Ansicht, d. h. sind durchaus gegen eine solche eingenommen und lassen nun jede in gleicher Richtung gehende Argumentation gelten, besonders wenn sie in hübsche Form gekleidet ist. Ich will Niemanden für Volapük, Panlingua u.s.w. begeistern, |5| ich bin ja selbst nicht im Mindesten für eine der vorhandenen „Weltsprachen“ begeistert; ich möchte nur das Vorurtheil in der Anschauung dieser Versuche beseitigen. Sie sprechen wieder davon dass Sie erst einen halbwegs geglückten abwarten wollen. Ja, dann werden wir darüber gar nicht mehr diskurrieren, sowenig wie über das Telephon u.s.w. Was nennen Sie denn halbwegs geglückt? Dass Menschen der verschiedenen Nazionen sich in einer durchaus künstlichen Sprache über den grössten Theil der Dinge, zu denen wir unsere Sprachen gebrauchen, ganz gut verständigen können, scheint mir über allen Zweifel erhaben. Ich wäre jederzeit bereit mich |6| an einem derartigen neuen Experiment zu betheiligen wenn ich wenigstens sicher wäre dass man mir hinterher Recht gäbe.

Gerade in der letzten Zeit habe ich mich Ihrer öfters aufs Angenehmste erinnert. Ich lese nämlich mit meinen Zuhörern La folle journée7 und Ihr schönes Geschenk spielt dabei die verdiente Rolle. Beaumarchais wäre als Praktiker gewiss auch für eine Weltsprache gewesen, doch das könnte man auch zu deren Ungunsten deuten – aber das Leibnitz [sic] sich dafür interessirte, er der so viel auch vorausgesehen hat, das sollte ein wenig vorsichtig machen. – 8

Ich war den ganzen vorigen Sommer neurasthenisch und absolut unthätig; war nur zwei Tage in Wien indem ich hoffte, dass die akademischen Schlemmereien und die Luftveränderung mir gut thun würden – inutile!

Herzlich grüssend Ihr
HS


1 Leider fehlt das Bezugsschreiben.

2 Schuchardt, Weltsprache und Weltsprachen. An Gustav Meyer, Strassburg: Trübner, 1894.

3 Gustav Meyer, „ Weltsprache und Weltsprachen “, Schlesische Zeitung 1901, Nr. 400 u.. 406; auch in: Meyer, Essays und Studien zur Sprachgeschichte und Volkskunde, Straßburg 1893, II, 23-46.

4 Erschienen bereits 1888 bei Oppenheim in Berlin.

5 Z.B. Schuchardt, „Bericht über die auf Schaffung einer künstlichen internationalen Hilfssprache gerichtete Bewegung“, Almanach d. kais. Ak. d. Wiss. 4, Wien 1904, 285.

6 Ernst Ritter von Gnad (1836-1918), vgl. HSA, 03784 u. 03784A-03783.

7 Beaumarchais, La folle journée ou Le mariage de Figaro, vgl. Brief 00974.

8 Vgl. Friedrich Adolf Trendelenburg, „ Über Leibnizens Entwurf einer allgemeinen Charakteristik “ (Berliner Akademie der Wissenschaften 1856). Es geht um Leibniz‘ Gedanken einer lingua characterica universalis.

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Österreichischen Nationalbibliothek. Siehe: [Portal]/Österreichische Nationalbibliothek, "Korrespondenz Schuchardt, Hugo, 1842-1927 [VerfasserIn] ; Bettelheim, Anton, 1851-1930 [AdressatIn]" (Sig. ÖNB_NLBettelheim_924)