Gustav Gröber an Hugo Schuchardt (052-04050)

von Gustav Gröber

an Hugo Schuchardt

Ruprechtsau

24. 01. 1886

language Deutsch

Schlagwörter: Druckfahnen Grundriss der romanischen Philologie Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze Lautphysiologielanguage Langue bleue (Bolak) Paul, Hermann Neumann, Fritz Paul, Hermann (1886) Neumann, Fritz (1886)

Zitiervorschlag: Gustav Gröber an Hugo Schuchardt (052-04050). Ruprechtsau, 24. 01. 1886. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5893, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5893.


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Lieber Freund.

Pauls Besprechung1 Ihrer Schrift sah ich noch nicht. Wie ich mir die Lautwandelfrage zurechtgelegt habe, werden Sie ja bald sehen (Correctur des betr. Abschnittes im „Griß“ erwarte ich diese Woche), auch sehen, daß ich mich nicht zu der tautologischen Formel  wie „Allgemeingültigkeit einer Lautregel“ bekenne, die mir Neumann in den Mund legt;2 daß ich zwischen (beobachteter) Regel und wirkendem Gesetz unterscheide, und die Regel durchaus nicht ohne Weitres in „Gesetz“ umzudeuten mir gestatte, vielmehr die Regel in sehr verschiedene Arten lautlichen Geschehens umzusetzen für möglich erkenne. Natürlich, je mehr Fälle die Regel umfaßt und je mehr Regeln an ein und demselben Worte sich wirksam zu erweisen vermochten (dia cre = diaconus, verglichen mit diurnus, *Jacom/bus = frz. jour, Jaime, stellt die Ausnahme dar), desto gewisser wird die chronologische Sonderung des Wortschatzes sich vornehmen, desto leichter werden die „Ausnahmen“ als Fremdlinge in der Sprache oder als unter besonderen Bedingungen stehende Wörter sich erkennen lassen, desto sicherer ist ein Lautwandel mechanischer Art (aber auch nicht immer; vgl. lat. ū = franz. ü; die Lautphysiologie hat es zu entscheiden)  und eine Trägheitserscheinung. Doch, wie ich zur Sache stehe, wissen Sie. Ich würde mich freuen, wenn die Widersacher durch Ihre Schrift erkennen würden, daß sie nur, indem sie einen richtigen Grundgedanken zum Dogma erhoben, sich in  Gegensatz zu andern Forschern brachten, und übereilt Reclame damit gemacht wurde.

Bestens grüßend

Ihr

GGr.

Die Correcturbogen aus dem Grdß. (Aufgabe u. Gliederung der rom. Phil.) erhielten Sie wohl?

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1 Hermann Paul, LB f. die germ. u. rom. Philol. 7, 1886, 1-6.

2 Fritz Neumann, Die Romanische Philologie. Ein Grundriß, Leipzig 1886.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 04050)