Hugo Schuchardt an Albert Sechehaye (10-HS_AS_02)

von Hugo Schuchardt

an Albert Sechehaye

Graz

26. 06. 1926

language Deutsch

Schlagwörter: Typologie Naunyn, Bernhard (1925) Spitzer, Leo (1922) Schuchardt, Hugo (1922)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Albert Sechehaye (10-HS_AS_02). Graz, 26. 06. 1926. Hrsg. von Pierre Swiggers und Anne-Marguerite Fryba-Reber (2018). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5735, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5735.


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Graz, 26 Juni 1926

Hochgeehrter Herr Kollege,

Mit dem besten Danke für Ihre ausführliche Beantwortung meiner Anfragen bezüglich Ihrer Familie hatte ich Ihnen zugleich eben für die Übersendung Ihres schönen Buches darzubringen verhofft. Aber ich bin in den letzten Monaten – besonders unter dem Einfluss dieses absonderlichen Wetters [–] fast zu aller ernsten Tätigkeit unfähig gewesen. Ich hatte mich auf das Lesen Ihres Werkes gerade pour la bonne bouche gefreut, da ich, meiner Augen wegen, mich mit Büchern schwierigen, sichtiger beschwerlichen Druckes, vor allem Wörterbüchern nur ganz ausnahmsweise abgeben kann. Dazu kommt dass meine Neigung zu sprachphilosophischen Arbeiten neuerdings aus andern Quellen Förderung em-|2|pfangen hat. So habe ich denn bis jetzt nur einzelne Teile und zwar mehr oder weniger auseinanderliegende mir zu Genuss bringen können.

Ich bin Ihnen für die mehrfachen freundlichen Erwähnungen1 meiner Wenigkeit zu besonderem Danke verpflichtet. Sehr ernstlich waren meine vor fast einem halben Jahrhundert geäusserten Ursprungsideen nicht, oder vielmehr es handelte sich um die Übereinstimmung zwischen dem Bau der Vögel und dem der Menschen. Der kürzlich verstorbene Mediziner B. Naunyn (er war noch ein paar Jahre älter als ich) hat eine kleine Schrift über diesen Gegenstand hinterlassen2 [S. 9 letzte Zeile lies statt 221 : 2113].

27 [Juni] Ich stelle fest dass das gestern geschriebene selbst für mich kaum leserlich ist (nicht meine Hand trägt davon die Schuld, sondern meine seit anderthalb Jahren doppelsichtigen Augen); ich will nun versuchen Ihnen wenigstens einige leserliche Zeilen zu schreiben. Aufs Gerat wohl ! Solche Wendungen wie Sie sie S. 122 aufführen4, sind, so viel mir gegenwärtig ist, auch im Deutschen nicht |3| ungewöhnlich; ein Kind würde wohl eben sagen: meine Puppe! Sie ist zerbrochen. Ich stelle diese Fälle zu denen wie der Regenschirm ! das Kind ! die Quelle !, worin eine Entdeckerseele vielleicht einen Evocativus erkennen würde. Aber nach meiner Anschauung kann nur ein Vorgangswort etwas Ursprüngliches sein und so haben wir zum Dingwort ein Wort zu ergänzen, das einen Imperativ allgemeinster Richtung darstellt: denk’an ! höre ! schau ! Hier liegt der Ursprung des Demonstrativs. Derlei Angelegenheiten lassen sich nicht in Schnelligkeit erledigen. Wir alle die wir uns mit den Prinzipien der Sprachwissenschaft beschäftigen, weichen in mehr oder weniger, in wichtigeren oder unbedeutenderen Punkte voneinander ab. Das rührt daher dass jeder in seinem Busen eine Dunkelkammer trägt oder mit andern Worten ein Dogma über das er nicht hinaus kann. Wir sollen voneinander lernen und gerade im Grundsätzlichen wird dies am Ehesten geschehen: ich wenigstens freue mich wenn ich auf widerstreitende Ansichten stosse, ich |4| werde dadurch gefördert5.

Suchen Sie, verehrter Kollege, im Vorstehenden durchaus nicht irgend eine Kritik Ihres Buches; ich habe dieses ja nur zu einem sehr kleinen Teil gelesen und hoffe das was mir bisher nicht möglich war nachzuholen. Heute habe ich einen meteorologischen Kopfdruck überwinden müssen, der mir zuerst unüberwindlich erschien. Haben Sie also Nachsicht mit meinem Geschreibsel und mit eventuellen Dummheiten die sich darin verstecken könnten. Voluisse sat est6.

In der nächsten Tagen werde ich Ihnen eine ganz winzige vielleicht auch windige akademische Abhandlung zusenden.

Mit ergebenstem Gruss

Ihr

HSchuchardt

Ich habe bisher nur einen Druckfehler gefunden, allerdings einen ständigen: Fink für Finck7.


1 Schuchardt est cité à plusieurs reprises dans l’ Essai sur la structure logique de la phrase ; cf. Sechehaye (1926 : 9, 19, 37, 53, 113) .

2 Bernhard Naunyn (1839–1925) a proposé une explication anatomique du développement parallèle du langage animal et du langage humain dans un article intitulé « Zur Entstehung der Lautsprache beim Menschen ». Cf. Schuchardt (1922 : 201, n.2).

3 Cette correction porte sur un renvoi erroné au Brevier (première édition de 1922), qui figure p. 9 n.1 de l’ Essai sur la structure logique : cette note de bas de page porte sur l’origine du langage et mentionne, à côté de Jespersen, le nom de Schuchardt.

4 Schuchardt renvoie ici à l’exposé de Sechehaye sur l’emploi de « formes inférieures » aux « virtualités logiques » de la pensée, c’est-à-dire sur l’emploi d’une phrase-idée au lieu d’une phrase-pensée. Plus particulièrement, il vise les exemples que Sechehaye (1926 : 122) donne : Ma poupée qui est cassée (= Ma poupée est cassée) ; Madame, vot’ broche qui s’décroche (= Madame, votre broche se décroche). Pour Sechehaye, dans ce type de phrases, « tout est conçu prédicativement ».

5 Cf. Schuchardt (1922 : 206-207).

6 Schuchardt insiste sur sa bonne volonté dans sa réponse à Sechehaye en invoquant ce proverbe tiré des Élégies de Properce (In magnis et voluisse sat est, « dans toutes grandes choses, il suffit de les avoir voulues »).

7 Déjà dans son Programme et méthodes de la linguistique, il avait écrit Fink (cf. Sechehaye 1908a : 24 ; c’est l’unique mention de Finck dans l’ouvrage) ; dans l’Essai sur lastructure logique de la phrase, le nom de Finck est cité deux fois (comme « Fink » ; Sechehaye 1926 : 55, 146).

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