Matthias Friedwagner an Hugo Schuchardt (16-03165)

von Matthias Friedwagner

an Hugo Schuchardt

Frankfurt am Main

12. 05. 1917

language Deutsch

Schlagwörter: Universitätspolitik Erster Weltkrieg Etymologie Reflexion über Forschung Universitäre Lehre Zauner, Adolf Schuchardt, Hugo (1917)

Zitiervorschlag: Matthias Friedwagner an Hugo Schuchardt (16-03165). Frankfurt am Main, 12. 05. 1917. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5584, abgerufen am 16. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5584.


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Frankfurt a.M., 12.5.1917

Hochverehrter Herr Hofrat!

Spät genug – ich bitte recht sehr um Nachsicht – danke ich Ihnen für das wertvolle Geschenk und die Freude, die Sie mir mit Ihrer Akademie-Abhandlung über die „romanischen Benennungen der Milz“ in den Ostertagen bereitet haben.1 Ich war drei Wochen in Oberösterreich und als ich am 22. April zurückkam, hatte der Semesterbeginn für mich auch wegen des Dekanats mit seinen vielfachen |2| Geschäften und Sorgen um Lehrkörper und Studierende in der Kriegszeit viel aufreibende Arbeit.

Und doch las ich gleich Ihre Studie, die mich, soweit ich Ihnen folgen kann, aufs höchste anregte. Ich nahm sie im Seminar vor als Muster einer solchen Betrachtung u. wir verfolgen jetzt die Bezeichnungen der „Leber“ im Sprachatlas, wobei wir bei la pire (pejor?) stehen, das uns noch Schwierigkeiten macht, trotz Zauner.2 Wir wollen die ganze Gruppe für „Beuschel“ hier anknüpfen, allerdings auf das gallo-roman. Gebiet beschränken.

Der Besuch ist gut, ja unerwartet |3| stark. Im Winter hatte ich bei Dante 70, in histor. Syntax einige 30, in der franz. Literatur des 18. Jhdts. jetzt wohl noch über 60 Zuhörer. Das macht viel Arbeit, u. die stete Sorge um den Krieg wie die schlechte Versorgung hat mich im Winter recht angegriffen. So bleibt manches länger liegen, als ich dachte; anderes für Zeitschriften ruht wegen Druckerei-Schwierigkeiten. Endlich wird man ja doch auch aus dieser Zeit hinauskommen!

Sie sehen, ich entschuldige mich in mehr als einer Hinsicht. Bei der Lesung jeder Ihrer Schriften überkommt |4| mich neben dem Gefühl der Bewunderung für Ihre Arbeitsgröße und unerschöpfliche Arbeitsleistung eine Gedrücktheit, die nicht Erschöpfung sein kann, auch nicht allein Nachwirkung der Grazersache anno 19113, wo ich mich ja fragen müßte, ob ich nicht besser täte, die Mitarbeit aufzugeben, sondern der Widerstreit zwischen größeren Aufgaben, die ich noch lösen möchte, und der starken Inanspruchnahme durch Unterricht u. Verwaltung. Die Gründung und Einrichtung der jungen Universität hatte viel Zeit u. Mühe gekostet.

Ich hoffe – und wünsche es von Herzen – daß Sie immer gesund sind u. es noch recht viele Jahre bleiben mögen!

Verehrungsvoll Ihr dankbar ergebener
M. Friedwagner


1Zu den romanischen Benennungen der Milz“, Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 8, 1917, 156–170. [Schuchardt-Werk Nr. 694]

2 Adolf Zauner, Die romanischen Namen der Körperteile. Eine onomasiologische Studie, Erlangen 1902, 156f., bes. 158.

3 Vgl. 03-03152.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 03165)