Gerhard Bähr an Hugo Schuchardt (7-407)

von Gerhard Bähr

an Hugo Schuchardt

Göttingen

26. 05. 1922

language Deutsch

Schlagwörter: Euskaltzaindia - Real Academia de la Lengua Vasca - Académie de la Langue Basque Revue de linguistique et de philologie comparée Österreichische Akademie der Wissenschaften (Wien)language Baskisch Urquijo Ybarra, Julio de Campión y Jaymebon, Arturo Azkue y Aberasturi, Resurrección María de Vinson, Julien Österreich Schuchardt, Hugo (1893)

Zitiervorschlag: Gerhard Bähr an Hugo Schuchardt (7-407). Göttingen, 26. 05. 1922. Hrsg. von Oroitz Jauregi Nazabal (2007). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.51, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.51.

Printedition: Jauregi Nazabal, Oroitz (2005): Correspondencia de Gerhard Bähr con R. M. Azkue, H. Schuchardt y J. Urquijo (1920-1944). Donostia-San Sebastián: Gipuzkoako Foru Aldundia-Diputación Foral de Gipuzkoa.


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Gottingen, am 26. Mai 1922
Emilienstr. 6

Sehr geehrter Herr Professor!

Vor 3 Wochen erhielt ich Ihren spanischen Aufsatz und kurz darauf Ihre Abhandlung über das Baskische von Sara, die ich beide mit ausserordentlichem Interesse gelesen habe und immer wieder lese. Haben Sie meinen herzlichsten Dank dafür! Leider hat wohl mein langes Schweigen bei Ihnen den Eindruck erweckt, als sei etwas verloren gegangen, oder als ob ich Ihre freundliche Schenkung nicht zu schätzen wüsste. Doch bitte ich Sie mein Säumen nicht übel zu nehmen. Ich hatte mir nämlich bei einem Versuch die rechte Hand und die Stirn ziemlich stark verbrannt, gerade als Ihre Druckschriften eingetroffen waren, und ich konnte wochenlang nicht schreiben, obwohl die Brandwunden mehr schmerzhaft als gefährlich war. Jetzt bin ich so ziemlich wiederhergestellt.

Ganz besondere Freude machte mir Ihre Abhandlung über das Baskische von Sara, in der ich eine Menge interessanter Angaben und Winke finde. Auch danke ich Ihnen für die Erwähnung meiner Persönlichkeit und meiner Interessen. Nachdem ich dieses Werk kennen gelernt habe, überkommt mich noch grösseres Verlangen, alle Dialekte und Mundarten an Ort und Stelle genauer zu erforschen. Aber wann komme ich wieder einmal dorthin? Früher hatte ich leider wissenschaftlich noch garnichts über das Baskische zu Gesichte bekommen, denn im Lande selbst ist das ziemlich schwierig, wenn man keine Bekanntschaft mit Urquijo, Campión oder Azkue hat, und diese Herren |2|lernte ich erst sehr spät kennen. Daher war mein Ziel dort bis kurz vor meiner Abreise nicht so sehr das Erforschen und Aufzeichnen der Mundarten, sondern das Studium der Schriftsprache und der Wunsch, mich möglichst korrekt ausdrücken zu können. Heute bin ich von jenem Irrtum längst zurückgekommen und bedaure nur nicht so tief in die Volksprache eingedrungen zu sein, wie es mir möglich gewesen wäre. Eine persönliche Erinnerung kam mir beim Lesen auf Seite 17: das stimmt zur Vorliebe des Prinzen B. für alte Frauen. Auch mir ist oft von jüngeren “aiskidêk” der Vorwurf gemacht worden ich hätte keinen Sinn für die “neskatillak” sondern nur für “atsôk”. Doch waren in jeder Hinsicht die alten Frauen die besten Lehrmeister; denn sie sprachen langsam und deutlich und liessen sich geduldig auspressen und kreuz und quer abfragen. Ich habe mit solchen manche genussreiche Stunde verlebt und glücklicherweise auch viele Aufzeichnungen gemacht, aus denen ich noch vieles schöpfen könnte. Auch erinnere ich mich noch genau des Paters Mortara, der im nahen Oñate lebte und uns von dort aus einige Male besuchte. Da ich damals erst 6-8 Jahre alt war, so lernte ich ihn natürlich nicht als Baskophilen kennen und habe auch nur undeutliche persönliche Erinnerungen von ihm. Vor zwei Jahren war er jedenfalls sicher nicht mehr in Oñate, sonst hätte ich ihn in dem Kloster getroffen, wo allerlei seltsame Geistliche zu hausen pflegten: Franzosen, Deutsche, usw. z. T. sehr nette Herren, die, wie z. B. ein gewisser Dr. Schwartz aus Köln, der uns oft besuchte, sich in den Augen des Papstes irgend etwas hatten zu Schulden kommen lassen und nun in dem reizvollen, aber weltabgelegenen Oñate eine Art Verbannungszeit durchzumachen hatten. Von Mortara habe ich, wie gesagt, ausser Ihren Mitteilungen nur noch in Erinnerung, dass er Lehrer |3|der Königin Mutter Maria Cristina im Baskischen war (übrigens einer geborenen Habsburgerin, die auch heute noch an ihrem Österreich hängt und während des Krieges sehr viel für Deutschland gewirket hat). Pater Mortara soll ihr damals sehr nahe gestanden haben, doch was den baskischen Unterricht anlangt, so war es nicht weit her damit, es war vielmehr eine tönende echt spanische Redensart. Immerhin konnte die alte Königin, als vor 2 oder 3 Jahren ihr Automobil unweit Pasages steckengeblieben war und einige Arbeiter es mit herausgruben, diese belohnen und die Worte hinzufügen: “Artu, sagardua erateko”, was bei allen baskischen Nationalisten einen vortrefflichen Eindruck hinterliess.

Die baskische Akademie möchte auch “Saran egin zituen ikasteak” übersetzt haben und hat mich aufgefordert, die Übersetzung zu übernehmen. Ich will das gern tun obwohl der Stil hier noch schwieriger ist als in den Baskische Studien und bitte Sie auch hierzu wieder um Ihre freundliche Einwilligung. Mit der Übertragung der Bask. St. habe ich schon begonnen und muss sagen, dass sie mir grosses Vergnügen bereitet. Erst hierbei dringe ich in die Einzelheiten dieses einzigartigen Werkes auf baskologischem Gebiet ein, oder glaube einzudringen; denn bei jedem neuen Durchlesen entdecke ich neue Tatsachen und Gesichtspunkte in solcher Fülle, dass ich die ersten Eindrücke wieder verwische, doch glaube ich jetzt wenigstens einen allgemeinen Überblick über Ihre Theorie zu besitzen. Ich kann es gar nicht verstehen, dass Vinson nach dem Erscheinen Ihrer Arbeit an seiner so haltlosen und unsicheren Theorie noch festhielt und wenn er |4|noch lebt, immer noch dabei bleibt. Ich habe seine Kritik Ihrer Theorie (Rev. de ling. 1894) gelesen und daraus meine ersten Kenntnisse geschöpft, aber nichts hat mich überzeugt. Er führte z. B. dazki aus Oihenart als Stütze für seine Theorie an, aber diese Form lässt sich doch einfach als Kürzung von dakizkit wie dazkion ~ dakizkion auffassen oder ähnlich entstanden denken wie in Legazpia wo die verschiedenen Alter neben einander gebrauchen dakitzet, (selten dakitzat, wegen des vorausgehenden is), dakizt, dazkitzet, dazkit, dakittut, und von euki: dauzket neben dauketzet, dauzketzet, daukittut, ich meine also durch gegenseitige Beeinflussung von jakin und euki haben sich alle Formen, die das Eine besass, mit auf das Andere übertragen, aber doch so dass dakitzet und dauzket die häufigsten blieben (neben den Neubildungen des jetzt aufwachsenden Geschlechtes dakittut, daukittut, die auch z. B. meine Schwester, wenn sie bask. spricht, stets gebraucht).

Halten Sie es, dagegen, nicht für möglich, dass Formen wie draukat, darotazu usw. auch als Factitive vom Stamme (d)u aufgefasst werden könnten? Es kommt z. B. bei Oihenart einmal derahantza “er macht es ihn vergessen” vor, was doch ganz stimmt dazu. Ganz besonders erstaunt war ich zuerst, als ich sah, dass Sie auch die zielenden Formen von “haben” vom Stamme u ableiten, z. B. dit, diot, usw. die doch von det, dut, dezu, dute, usw. sich durch Ihren Vokal so scharf abzuheben scheinen, während im bizkaischen die Zusammengehörigkeit offenbar ist: dot, dotsut, dost... Ich glaubte früher, es läge da ein eigener Stamm vor, der in der Bedeutung “geben” auch sonst noch vereinzelt vorkommt idazu, iguzu, ( Jaungoikôk egun on dizula)|5|ronc. bida, “er möge es mir geben” usw. Doch lautet die Bezugsform zu diot in Legazpia ddaoat oder dauat (bei Leizarraga diarokat), das doch gewiss zum Stamm u gehört. Jetzt nehme ich jedoch an, dass auch diese sich vom Stamme u ableiten, und nicht, wie manche meinen bloss von egin machen; denn es bestehen nebeneinander in Goyerri dizula, diola, “er möge es Dir-ihm geben” und deizula, daizula, deyola, dayola wie im bizk. als Konjunctive statt dizazula, dizayola. Diese beiden Gruppen sind scharf getrennt. Ich bemerkte weiterhin auf Seite 59, dass Sie xao in Oñate von *diao ableiten. Allerdings versicherte mir ein Geistlicher, er habe einen Mann gekannt, der noch dotxat... sagte für xat, xatzu, xao und dass dotxat die ursprüngliche Form sei. Es wäre aber wunderbar wenn nur jener, garnicht einmal sehr alte Mann die vollere u. “ältere” Form gebrauchen sollte, da weder der Geistliche noch ich jemals diese Form in Oñate festgestellt haben. Noch merkwürdiger wäre es, dass die erste Silbe nur in dotxat abgefallen wäre, nicht aber in dotsut, dostazu. Ich glaube vielmehr, dass jener Mann vielleicht auf Reisen oder im Verkehr mit den benachbarten Einwohnern von Bergara und Mondragon sich deren Form dotsat angewöhnt hat. Es wird Sie wohl auch interessieren, dass die Bezugsform zu xat txat lautet.|6|Des Interesses wegen setze ich Ihnen auch die Imperfecta zu det, nuen usw. in den benachbarten Orten Oñate und Bergara, die ich gerade zur Hand habe hierher.

xatNuen xatnion xatnizun
Oñatene(be)Bergaranebannótsannótsun
ze(be)n ziñuanzotsasun–––
(e)ben zebanzotsanzótsun
ge(be)n giñuanzotsanzotsugun
zotsagun
zeuen,zebein ziñuen?–––
euen, ebein zebenzotsenzotsuen

Es ist interessant zu beobachten, wie das Guipuzkoanische und Bizkainische sich immer mehr nähern, je weiter man nach Norden kommt. Doch ist der Unterschied in Motrico-Ondarroa noch beträchtlich. In einem der letzten Briefe schrieb mir Azkue: Galde ezayozu nere izenean Iztegia bidali ginion irakurleari 1ª gure nerau (1, 2, 3), latinezkoego (1) metipse (2, 3), beste mintzoren batzuetan orrela irakoitz bizi ote den. 2ª Gure apurtu, umetu ta latinoenauditus, scriptumeta zuen zu schauen, zu tun eta ingelesen to be or not to be (to au tu esan oi dute berak) lau gai auek aideak ote diren; ala zu ta to oriek beste yatorriren bat ote duken.

Ich habe Herrn Prof. Hermann noch nicht befragen können, da er wohl erst morgen von einem Harzausfluge zurück kehrt. Ich wundere mich aber doch darüber dass die Euskaltzaindia auch etymologische Studien treiben will. Die hiesige Bibliothek besitzt zwar die Schriften der Wiener Akademie, aber Ihre Abhandlung fehlt merkwürdigerweise darunter.

Wie sehr wünschte ich, sehr geehrter Herr Professor, dass Sie noch recht viel von Ihren Gedankengängen und Arbeiten über das Zeitwort veröffentlichen möchten, damit sie den Späteren als Vorbild und Richtschnur dienen mögen.

Im Übrigen hege ich für Ihre Gesundheit die besten Wünsche und verbleibe mit herzlichen Grüssen Ihr sehr ergebener

G. Bähr stud. chem.

Göttingen, Emilienstr. 6

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 407)