Ludwig Lemcke an Hugo Schuchardt (4-06378)

von Ludwig Lemcke

an Hugo Schuchardt

Frankfurt am Main

21. 11. 1870

language Deutsch

Schlagwörter: Sprachen in Ägypten Jahrbuch für Romanische und Englische Literatur Literarisches Centralblatt für Deutschland Schuchardt, Hugo (1871)

Zitiervorschlag: Ludwig Lemcke an Hugo Schuchardt (4-06378). Frankfurt am Main, 21. 11. 1870. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4994, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4994.


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Frankfurt a/M. d. 21 Nov 1870

Geehrtester Herr Doctor!

Durch einen Krankheitsfall in meiner Familie seit 3 Wochen hier in Frankfurt zurückgehalten1, habe ich bis jetzt keine Zeit gefunden, Ihr werthes Schreiben vom 29sten v. Monats zu beantworten. Es ist aber auch wohl kaum erst nöthig zu sagen, daß mir Artikel von Ihnen für das Jahrbuch aus dem Gebiete der romanischen Philologie stets sehr willkommen sein werden, und daß ich demnächst eine größere Arbeit von Ihnen zu erhalten hoffe. Einstweilen acceptire ich dankend den etymologischen Art. welchen ich so eben (mit Poststempel von gestern) erhalte.2 Nur möchte ich Sie auf einen Punkt aufmerksam machen. In Folge der Einrichtung des Jahrbuches, die mir von der früheren Redaction überkommen ist, können ganz kurze Artikel, wie der Ihrige, passender Weise nur unter die Rubrik der „Miscellen“ gebracht werden, wodurch sie nun zwar, wie die Erfahrung gelehrt hat, keineswegs der Beachtung entzogen werden (eher das Gegentheil!) wohl aber unhonorirt |2| bleiben müssen, schon um deswillen, weil dies zu einer endlosen Berechnung führen würde, die sich bei ganz kleinen Mittheilungen (und Ausnahmen können doch nicht gemacht werden) in wenige Silbergroschen auflösen würde. Es empfiehlt sich daher bei etymologischen Artikeln wo möglich, gleich eine Reihe einzusenden, die c. 4 – 5 Seiten umfaßt, so daß dieselbe unter den Abhandlungen rangiren könnte.

Beiläufig bemerkt stimme ich Ihnen in Bezug auf die Bedeutung von Corbacho beim Arcipreste von Talavera vollkommen bei3, habe dies aber bereits vor mehreren Jahren (ich glaube 1867) bei Gelegenheit der Besprechung von Ticknor’s Supplementbande (Leipzig, Brockhaus) im Literar. Centralblatte gegen Ticknor behauptet.4

Da ich auf Urlaub noch bis Ende d. J. hier in Frankfurt bleibe, können Sie Ihre etwaigen Schreiben an mich nur direct hieher adressiren unter der Wohnungsangabe: Theaterplatz, Café Milani 1 Tr.

Mit besonderer Hochachtung
Prof. Dr. Lemcke.

Es ist möglich, daß Ihr Artikel noch in dem eben in Satz begriffenen 4ten Hefte Platz findet, weil vielleicht noch einige Seiten Raum übrig sind.


1 Vermutlich handelte es sich um seine Frau, denn in der ADB heißt es: „Jahrelang wurde L. durch den leidenden Zustand seiner Frau in gespannter Sorge gehalten, und bald nachdem ihm der Tod (1877) die treue Gefährtin geraubt hatte, begann er selbst an einem krebsartigen Leiden dahinzusiechen. Im Sommer 1882 mußte er seine Vorlesungen einstellen, am 21. September 1884 ist er gestorben“ (641-642).

2 Schuchardt, „ Etymologisches“, Jahrbuch für romanische und englische Literatur 12, 1871, 114–115.

3 Schuchardt hatte die Deutungen von corbaccio durch Flögel („Galgenvogel“) und Witte („Krähe“) zurückgewiesen und gibt Friedrich Schlegel Recht, der mit „Geißel“ übersetzt: „Letzteres ist aber das einzig Richtige, und wenn auch die ital. Wörterbücher corbaccio weder in dieser, noch einer anderen Bedeutung kennen, so bietet uns dafür noch heute die spanische Sprache die fast gleiche Form corbacho, Karbatsche (fr. cravache). Der Erzpriester von Talavera muß Corbaccio in diesem Sinne genommen haben“.

4 Lemcke, Literarisches Centralblatt 40, 28. September 1867, 1114-15 : „Der Titel seines Werkes, Corbacho, wird wohl vom Verfasser unrichtig ausgelegt. Das Wort bedeutet einfach Ochsenziemer, Karbatsche, mit Beziehung auf den satirischen Inhalt des Buches“ (Besprechung von G. Ticknor, Geschichte der schönen Literatur in Spanien. Deutsch mit Zusätzen herausgegeben von N. H. Julius. Supplementband, bearbeitet von Adolf Wolf. Mit einer Vorrede von Ferd. Wolf, Leipzig 1867, Brockhaus).

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 06378)