Johannes Ulrich Hubschmied an Hugo Schuchardt (11-04884)

von Johannes Ulrich Hubschmied

an Hugo Schuchardt

Burgdorf

28. 12. 1923

language Deutsch

Schlagwörter: Jaberg, Karl

Zitiervorschlag: Johannes Ulrich Hubschmied an Hugo Schuchardt (11-04884). Burgdorf, 28. 12. 1923. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4962, abgerufen am 16. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4962.


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Hochgeehrter lieber herr professor,

Zum jahresanfang entbiete ich Ihnen meine herzlichsten glückwünsche für Ihr wohlergehen. Möge Ihnen auch im kommenden jahre geistige und körperliche rüstigkeit beschieden sein, dass Sie Ihre verehrer – und welcher sprachforscher zählt nicht zu Ihren verehrern? – durch gaben Ihres geistes erfreuen können.

Gerne denke ich zurück an die schönen tage, die ich bei Ihnen habe verleben dürfen. Ich bitte Sie, auch herrn und frau Mairhuber1 meine herzlichsten neujahrswünsche zu übermitteln. Auch ihre freundliche gastlichkeit |2| hab ich stets in bester erinnerung.

Ich bin hier in Burgdorf (kanton Bern) für einige tage bei meinen betagten eltern in den ferien.2 Mein lieber, im 76. lebensjahr stehender vater hört schon seit vielen jahren sehr schlecht, und nun droht ihm auch erblindung. 

Gestern hab ich verschiedene freunde in Bern besucht, auch Jaberg. Jaberg hat mir erzählt, dass seine reklamation wegen des strafportos auf Ihrer drucksachsendung vom postbüro Bern abgewiesen, von der eidgenössischen oberpostdirektion aber nach wochen- oder monatelanger prüfung und untersuchung (ein beamter der oberpostdirektion begab sich extra mit dem corpus delicti, dem drucksachenumschlag, zu Jaberg) als berechtigt anerkannt worden ist: „M. herzl. gr.“ |3| ist also von nun an laut verfügung der hohen eidgenössischen oberpostdirektion keine persönliche mitteilung. Ihnen gebührt in letzter linie das verdienst, diesen sieg des gesunden menschenverstandes über verknöcherte bürokratie errungen zu haben.

Nächstens werden Sie eine kleine arbeit von mir zugeschickt bekommen, betitelt: „Drei Ortsnamen gallischen ursprungs: Ogo, Château-d’Oex, Üechtland. Mit einem anhang über gallische ableitungen und kurznamen“.3 Ich suche darin nachzuweisen

1) dass Ogo (landschaftsname Greyerzer land + Pays d’Enhaut) ‹ gall. *ouxuko – (nominale ableitung von „*ouxu, en haut“ [= ir. ós, uas, kymr. uch, bret. uc’h]);

2) dass Ois (= Château-d’Oex, hauptort des Pays d’Enhaut) ‹ gall. *ouxu, en haut;

|4| 3) dass Üecht-(land) ‹ gall. *ouctia ,höhen, hügel‘ (idg. *oup-tia, zu ahd. ûf, oban usw.);

4) dass das gallische in Helvetien noch geworden [gem. gesprochen wurde ?], als die Alemannen eindrangen (beweise: a) der fluss Gérine, zufluss der Saane, ‹ * jurōna ,bergbach‘, heisst deutsch Ärgeren, alt Argerona, ‹ gall. *are jurōnan ,am bergbach‘; b) der name der grossen wälder in den kantonen Freiburg, Bern, Wallis war in der ältern sprache frz. neiri jornigra juris, deutsch tobwald; beide bezeichnungen sind teilweise übersetzungen von gall. *dubā juris ,schwarzwald‘ [cf. lour-du, ortsname Bretagne]; c) Jorat ‹ gall. jurętto – cf. sęptemsa], aber deutsch Jurten, Gurten ‹ gall. *jureton – ;

d) Murten ‹ gall. *Mori-dūnum, aber frz. Morat ‹ gall. Morętto –, einer kurzform von *Moridūnum).

|5|  5) dass das gall. zur zeit da die Alemannen die schweizerischen bergtäler besiedelten, durch die lenition in ähnlicher weise wie das britannische im lautstande verändert worden war (beweis: der flussname alt Sibana, heute Siben-tal [daneben Simme, Simmental, Zweisimmen, älter Zweisimnon sib(a)nôn] geht zurück auf gall. * Siƀŏna ‹ *Si(ha)ƀona ‹ *Segisamŏna, ableitung von Segisama ,fortissima‘; 6) dass das suffix -ętto-,  -ęt(t)on- in gall. * jurętto (› frz. Jorat), *Morętto – › frz. Morat, *juretton – (dtsch Jurten, Gurten) seinen ausgangspunkt hat in gall. kurznamen vom typus * Orget(t)os, *Vercinget(t)os, *Orget(t)on –; *Vercinget(t)on –; |6| dass die gall. kurznamensuffixe -ettos, -et(t)ios, -et(t)on- in vorhistorischer zeit von den Germanen entlehnt worden sind: ahd. Egiz, Egigi, mhd. Manesse, ahd. Sigizo, Heinzo, Cuonzo, vorahd. Charietto;

dass auch das germ. kurznamensuffix -ikon- (as. Heiniko, Frikko) aus dem gall. entlehnt ist (gall. Divico usw.), dass überhaupt alle kurznamensuffixe des germanischen aus dem gallischen entlehnt sind, die kurznamenbildung im germ. nach gall. muster erfolgte (im nordischen, das dem gall. einflusse früh entrückt war, gibt es keine alten kurznamen).

|7| Da Sie einer der wenigen gelehrten sind die auf  romanischem wie keltischem  wie germanischem sprachgebiete heimisch sind, würde es mich freuen, wenn Sie mir Ihr urteil über die in meiner arbeit behandelten probleme mitteilen würden.

Empfangen Sie, verehrter meister, nochmals meine herzlichsten wünsche und die besten grüsse von Ihrem
J. U. Hubschmied.


1 Vgl. Lfd.Nr. 07-04880.

2 Vgl. Lfd.Nr. 07-04880.

3 Zeitschrift für deutsche Mundarten 19, 1924, 169-198 . Schuchardt nimmt Bezug auf Gustav Schnürer, „ Die Namen Château d’Oex, Ogo, Uechtland “, Jb. f. schweiz. Gesch. 45, 1920, 77*-100* bzw. Ernest Murets Besprechung, Z. f. schweiz. Gesch. 1, 1921, 321-325 . – Die Schreibung einzelner gall. und germ. Wörter weicht im Druck leicht von den hier zitierten ab!

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 04884)