Hugo Schuchardt Archiv

Zürich 7, den 4. Febr. 1922

Hochverehrter Herr Kollege,

Der sympathische Artikel von Hubschmied in der Neuen Zürcher Zeitung¹ erinnert mich daran, dass ich wieder einmal post festum komme, was mir in diesem Falle besonders leid thut. Das tägliche Eintauchen in dem Material des Glossaire, wo es immer noch zu ordnen gibt, machen mich immer ungesellschaftlicher und einsiedlerischer, und so kostet es mich Mühe, wenn ich schreiben soll. Aber diesen hohen Festtag für die ganze Gemeinde der Philologenwelt darf ich nicht vorbeigehen lassen. Ich wünsche Ihnen herzlich Glück dazu, dass Sie nicht nur ein beispielloses Vorbild tiefer und weiter Erfassung der Zusammenhänge unter den Sprachen gaben, sondern auch das seltene Beispiel einer Mens sana in corpore sano. Die letzten Separata, die ich von Ihnen erhielt² – für die ich stets ein sehr dankbarer Abnehmer bin – zeigen eine so lebendige Kraft, dass wir nur wünschen |2| können, das Viele, was Sie noch verprochen oder sonst in petto haben, möge sich erfüllen. Über den Ursprung der Sprachen habe ich mir auch oft Gedanken gemacht und bin erfreut darüber, dass ich soweit mit Ihnen übereinstimme. Aber sind meine Gedanken überhaupt von mir, oder aus Ihren früheren Schriften geschöpft? Polyglottenherzen haben den Sturm der Völker besonders schmerzlich empfunden. Ich wünsche Ihnen, dass Sie noch die Morgenröte des keimenden neuen Völkertages erleben.

Ihr herzlich ergebener
L. Gauchat.