Ernst Tappolet an Hugo Schuchardt (01-11556)

von Ernst Tappolet

an Hugo Schuchardt

Basel

14. 11. 1905

language Deutsch

Schlagwörter: Haspel Garnwinde Bulletin du Glossaire des patois de la Suisse romande Gauchat, Louis Morf, Heinrich Schuchardt, Hugo (1905) Tappolet, Ernst (1905) Schuchardt, Hugo (1885)

Zitiervorschlag: Ernst Tappolet an Hugo Schuchardt (01-11556). Basel, 14. 11. 1905. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4705, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4705.


|1|

Basel 14 Nov. 05

Hochverehrter Herr Professor

Eben lege ich Ihr kostbares Album von unphilologischen Geräten bei Seite1 und greife zur vertrauten Feder, um Ihnen für Ihre ausserordentliche Liebenswürdigkeit meinen verbindlichen Dank auszusprechen.

Bedeuteten für mich schon Ihre freundlichen Zeilen eine Ehrung, die ich hoch anschlage, so haben Sie mir durch die Übersendung der weissen Rolle2 eine Freude bereitet, |2| wie sie einem Linguistenherz nur selten zu teil wird.

Ich hatte dieses Ihr Opus – nicht ohne Neid – schon bei Collegen Gauchat3 in Bern eingesehen, und bin nun glücklich all die Feuerböcke und Garnwinden selbst zu besitzen.

Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie viel ich mir von dieser neuen „illustrirten Etymologie“ verspreche; wir werden im in Arbeit stehenden „Glossaire des patois de la Suisse romande“4 Ihren Anregungen gebührend Rechnung tragen.

Was chétif aus captivus anbelangt, so hab ich von Ihrer Erklärung, die Annahme keltischen Ursprungs unnötig macht, dankbar Notiz genommen. |3| Auf Seite 117 unten meiner Arbeit hätte ich in der Tat zutreffender gesagt: Damit … gibt Sch. seiner eigenen Methode momentan unrecht.5

Gestatten Sie mir Ihnen bei dieser Gelegenheit zu sagen wie viel dauernde Anregung ich Ihren Schriften verdanke. Es war aus Anlass einer Seminararbeit bei meinem Lehrer Morf6, wo ich zum ersten Mal Ihre Schrift „über die Lautgesetze“7 las. Sie gab mir Klarheit, seither ist mir Ihr Name mit zielbewusster Gelehrsamkeit identisch geworden.

Seien Sie nochmals meiner dankbaren Gesinnung versichert.

Mit hochachtungsvollem Gruss

Ihr ganz ergebener

E. Tappolet


1 An Adolf Mussafia [Festschrift zum 70. Geburtstag], Graz 1905.

2 Es geht in der Mussafia-Festschrift des längeren um Haspel und Garnwinde; „die weiße Rolle“ wird somit zur Metapher für die Festschrift.

3 Louis Gauchat (1866-1942), bekannter Schweizer Romanist und Dialektologe; vgl. auch seine Korrespondenz mit Schuchardt, HSA, Bibl. Nr. 03593-03613.

4 Das Glossaire des patois de la Suisse romande (GPSR)erschien ab 1924 und ist bis heute noch nicht abgeschlossen. Bis jetzt liegt die Wortstrecke A-F (Bd. I-VII) vor.

5Phonetik und Semantik in der etymologischen Forschung“, ANSpr 115, 1905, 101-123. Im gedruckten Text heißt es: „Damit freilich gibt Schuchardt seiner eigenen Methode unrecht, die beide, Phonetik und Semantik, gleichstellt“. – Zu „chétif-captivus“ vgl. S. 107f.

6 Heinrich Morf (1854-1921) war Tappolets Betreuer bei Promotion und Habilitation. Vgl. auch seine Korrespondenz mit Schuchardt, HSA, Lfd.Nr. 07492-07529.

7 Über die Lautgesetze. Gegen die Junggrammatiker, Berlin 1885.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 11556)