Heinrich Morf an Hugo Schuchardt (12-07503)

von Heinrich Morf

an Hugo Schuchardt

Frankfurt am Main

11. 01. 1908

language Deutsch

Schlagwörter: 49. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner (Philologentag) zu Basel am 27. September 1907 Vorträge Sachwortforschung 50. Versammlung deutscher Schulmänner und Philologen (Philologentag) in Graz (1909) Gesundheit Société internationale de dialectologie romane Gründung von Gesellschaften und Stiftungen Zeitschriften Etymologie Archäologie Philologien Schädel, Bernhard Densusianu, Ovid

Zitiervorschlag: Heinrich Morf an Hugo Schuchardt (12-07503). Frankfurt am Main, 11. 01. 1908. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.4238, abgerufen am 16. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.4238.


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[Frankfurt a. M., Klettenbergstr. 8] 11.1.08.1

Sehr geehrter Herr Kollege,

Es freut mich sehr, dass mein Referat Sie interessirt hat2; das ist das Verdienst der trefflichen Menschen über deren treffliche Arbeit ich gut reden hatte. Und, dass das Ganze auch einen vaterländischen Klang haben durfte, that das Übrige. Man wird im Ausland noch schweizerischer als mans in der Heimat war. – Wie begrüsse ich Ihren Gedanken, eine Sektion für sachliche Volkskunde zu bilden!3 Ich hoffe sehr anno 1909 dabei sein zu können; doch bin ich durch eine böse Appendizitis im Jahre des Unheils 1908 in meiner bisher noch jugendlichen Zukunftsfreudigkeit erschüttert worden. Die Appendix Morfi 4 ist nun zwar „edirt“, aber ein Bischen Alterssepsis ist zurückgeblieben. – Von der Soc. internationale5 weiss ich durch Schädel-Halle & Densusianu6. Den Prospekt einer Zeitschrift kenne auch ich nicht, doch weiss ich, dass bald ein Zirkular über die Ziele & Organisation der beabsichtigten Gründung herauskommen soll, das Sie ja natürlich unter den Ersten erhalten werden.

Mit herzlichen Grüssen & Wünschen

Ihr ergebener
H. Morf.


1 Es handelt sich um die einzige erhaltene Korrespondenz aus Morfs Frankfurter Zeit, die immerhin von 1901-10 gedauert hat.

2 Die romanische Schweiz und die Mundartforschung. Vortrag gehalten in der dritten allgemeine Sitzung der 49. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner zu Basel am 27. September 1907, Braunschweig 1907.

3 Vgl. den von Hugo Schuchardt und Rudolf Meringer unterzeichneten Aufruf (Graz, im Januar 1908) „Erster Kongreß für sachliche Volkskunde, September 1909 in Graz“ (z.B. in Mitteilungen des Verbandes deutscher Vereine für Volkskunde 7, 1908, 5) : „Im September 1909 findet in Graz die 50. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner statt. Dieser wichtige Gedenktag gibt Veranlassung, den Blick auf Vergangenheit und Zukunft zu lenken.

Schon Jakob Grimm hat ,Wörter‘ und ,Sachen‘ in einem Atem genannt, aber erst die letzten Jahre haben zur klaren Erkenntnis geführt, daß die Sprachforschung der Sachforschung als notwendiger Ergänzung bedarf, daß die Etymologie der Kenntnis der ,Sachen‘ nicht entraten kann, daß das, was die Archäologie für die klassische Philologie bedeutet, in entsprechender Weise auch für die anderen philologischen Disziplinen geschaffen werden muß.

Die sachliche Volkskunde bietet dazu die Mittel. Deshalb wollen die Unterzeichneten als Ergänzung des Arbeitsplanes der 50. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner die Bildung einer Sektion beantragen, welche die Forschungen über die ,Urbeschäftigungen‘ (Ackerbau, Fischerei, Hirtenwesen), über das Haus und seine Geräte sowie über die im Hause geübten Techniken (Nähen, Spinnen, Flechten, Weben usw.) zum Gegenstande ihrer Verhandlungen machen soll.

Die Beschränkung auf diese Teile der allgemeinen Volkskunde ist darin begründet, daß die berührten Fragen zurzeit im Mittelpunkte des Interesses – auch für die Schule – stehen, sowie ferner darin, daß es unmöglich ist, der ganzen ungeheuren Reichhaltigkeit der Volkskunde in dem gegebenen Rahmen gerecht zu werden. Die Bildung einer eigenen Sektion für die sachliche Volkskunde empfiehlt sich auch deswegen, weil ihre Gegenstände nicht wie die geistigen Erzeugnisse der Volksseele (Sagen, Märchen, Bräuche usw.) in den anderen Sektionen zur Besprechung gelangen können.“

4 Witzige Anspielung auf die Appendix Probi; bei Morf bedeutet das „Edieren“ allerdings die Entfernung des Blinddarms.

5 Zu Einzelheiten vgl. die Korrespondenz Bernhard Schädels mit Schuchardt, HSA Lfd.Nr. 01-09990f. (mit Verweis auf Morf).

6 Ovid Densusianu (1873-1938), rumänischer Romanist und Tobler-Schüler, seit 1897/1901 Inhaber des Bukarester Lehrstuhls für rumänische Sprache.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 07503)