Woldemar Kaden an Hugo Schuchardt (02-05251)

von Woldemar Kaden

an Hugo Schuchardt

Neapel

22. 01. 1876

language Deutsch

Schlagwörter: Literaturbeschaffung Decameron Sprichwörter Sendung unter Kreuzband (Drucksachen) Volkslied Bittschreiben Literaturhinweise / bibliographische Angaben Networking Witte, Karl Heyse, Paul Italien Kalabrien Neapel

Zitiervorschlag: Woldemar Kaden an Hugo Schuchardt (02-05251). Neapel, 22. 01. 1876. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.3473, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.3473.


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WOLDEMAR KADEN
Carminello a Toledo 34 den 22. Januar 1876.

Geehrtester Herr!

In Ihrem so freundlichen Briefe vom 8. m. p. gaben Sie mir Erlaubnis, Ihnen von Zeit zu Zeit schreiben zu dürfen, und davon mache ich denn heute Gebrauch. Ich möchte nämlich bei Ihnen anfragen, ob Ihnen beiligend verzeichnete neue Werke der ital. Literatur bekannt, oder besser, ob Ihnen mit Uebersendung derselben gedient wäre. Ich glaube, die Sachen sind für Sie nicht uninteressant. N° I enthält in 700 Versionen die Novella IX della Giornata I des Decameron, viele mit wichtigen Noten, und dient dem Studium der Dialecte des Königsreichs Italien.

Nr II. erläutert in 1224 Artikeln in wissenschaftl. Weise die sprichwörtl. Redensarten, geflügelte Worte etc. des It. Volkes. |2| Möglicherweise sind sie Ihnen schon zugegangen, wenn nicht, erbitte ich mir eine Notiz und werde mir dann das große Vergnügen bereiten, sie Ihnen unter Band (allerdings zerschlachtet, da sie das Postkilo übersteigen) zuzusenden.

Die versprochenen Canzoni aus Calabrien etc.1 sind bereits einem Freunde zur Abschrift übergeben. Ich würde diese selbst gefertigt haben, aber meine Zeit ist eng bemessen und dann bin ich ein zu schlechter Calligraph.

Nun aber komme ich mit einer Bitte und berufe mich wiederum auf Ihren freundlichen Brief. Sie schreiben: wenn ich irgend einen Wunsch hege, den Sie befriedigen können etc. Hier ist ein solcher! Ich habe schon lang nach den zwei Witte’schen Abhandlungen „Ueber den Minnegesang und das Volkslied in Italien“2 (Berlin 1839) aufgestellt3, sie aber nie bekommen können.4 Sollten Sie |3| dies nun ohne Mühe zu bewirken im Stande sein, so geschähe mir eine große Liebe damit. Ich würde sie gern auch nur leihweise empfangen und sie baldigst wieder zurücksenden. Existiren noch andere deutsche Arbeiten (außer Heyse und Kopisch)5 über dies Thema? –

Eine große große Freude hat mir Ihre Notiz bereitet, daß Sie diese Ostern nach Neapel kommen werden.6 Ja, kommen Sie nur! Wie gern werde ich Ihr Führer in der herrlichen Umgegend sein. Darüber schreiben Sie noch (inzwischen hat sich da der Frühling aufs Schönste zu rüsten).7

Ich kenne vier verschiedene Palumbo, einen Ernesto8 aber nicht; so konnte ich Ihren Gruß leider nicht bestellen. Wer ist er?

Hier haust jetzt der Scirocco abwechselnd mit Tramontana, das Volk kriecht in seine feuchtdunklen Höhlen, in den Gärten aber blühen schon lustig die Orangen und die Veilchen.

Einen herzlichen Gruß sendet Ihnen, hochgeehrter Herr Professor,

Ihr ergebener

Woldemar Kaden

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I.

I Parlari Italiani in Certaldo alla festa del V Centenario di Messer Giovanni Boccacci. Omaggio di Giovanni Papanti. (pp. 740)9

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II.

Modi di dire proverbiali e Motti popolari Italiani spiegati e commentati da Pico Luri di Vassano. (pp. 624)10

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1 Sollte etwa Zumbini gemeint sein?

2 Abführung ergänzt, fehlt im Original.

3 Im Sinne von „einer Sache nachstellen“ (DWB).

4 Karl Witte, „ Über den Minnesang und das Volkslied in Italien. Zwei Abhandlungen “, in: Italia. Bibliothek der deutschen Literatur, hrsg. v. Alfred von Reumont, Berlin 1838, S.105-154.

5 Italienische Volkslieder für eine Bassstimme mit Begleitung des Pianoforte: und beigefügter deutschen Uebersetzung von A. Kopisch. Herausgegeben und seinem Freunde Guido Wolff in Hamburg gewidmet von G. W. Teschner, Berlin 1837f.; Italienisches Liederbuch. Hrsg. v. Paul Heyse, Berlin: Wilhelm Herz, 1860.

6 Eine solche Reise ist zu diesem Zeitpunkt nicht nachweisbar; Schuchardt reiste jedoch 1883 nach Neapel.

7 Der Satz ist nicht ganz klar: Kaden will wohl sagen, dass Schuchardt noch nähere Hinweise über seine Reise geben werde, und dass es, wenn er komme, richtig Frühling sei. – Die zweite Klammer wurde ergänzt.

8 Ernesto Palumbo (1847-1924?), Bibliothekar an der Biblioteca Nazionale di Napoli.

9 Erschienen 1875 bei Vigo in Livorno.

10 Erschienen 1875 bei der Tipografia Tiberina in Rom.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 05251)