Philipp August Becker an Hugo Schuchardt (09-00897)

von Philipp August Becker

an Hugo Schuchardt

Leipzig

29. 10. 1917

language Deutsch

Schlagwörter: Wissenschaftliche Diskussionen und Kontroversen Questione ladinalanguage Ladinisch Salvioni, Carlo Ettmayer, Karl von Schuchardt, Hugo (1917)

Zitiervorschlag: Philipp August Becker an Hugo Schuchardt (09-00897). Leipzig, 29. 10. 1917. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.3233, abgerufen am 16. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.3233.


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Leipzig, den 29. Oktober 1917
Emilienstr. 15.

Hochverehrter Herr Hofrat!

Soeben erhalte ich Ihre Zuschrift vom 24. d. M. und muss gestehen, dass mich Ettm.s Vorgehen überrascht und befremdet.1

Auf den ersten Blick konnte man wohl Ihre Worte so fassen, als gäben Sie zu, dass Salv. die Tilgung des Ladinischen als eigene Mundartengruppe zwar nicht ohne ausserwissenschaftlichen Antrieb, aber immerhin mit Erfolg durchgeführt habe.

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Nach Ihren aufklärenden Worten ist es aber offenbar, dass eine solche Deutung unrichtig und unberechtigt ist; und Ettm.s Schreiben vom 20. Okt. ist mir daraufhin unverständlich.

Ich weiss, wie schwer Missverständnisse zu überwinden sind; aber ich möchte doch hoffen, dass Ettm. als Ihr Schüler bereit sein werde, seinen Irrtum einzusehen – denn ein Irrtum scheint doch vorzuliegen! – und das alte Vertrauensverhältnis ungetrübt herzustellen.

Gestatten Sie mir, hochverehrter |3|Herr Hofrat, dass ich Ihnen meinerseits für Ihre Grüsse und Wünsche in meinem neuen Wirkungskreis herzlich danke, mit der Bitte, mich auch fernerhin Ihrem freundlichen Wohlwollen empfohlen zu halten.

In steter Verehrung und

Ergebenheit

PhAug Becker


1 Zur Auseinandersetzung zwischen Schuchardt und Ettmayer vgl. den Kommentar zu Lfd.Nr. 17-HS_KV_s.n.: Schuchardt hatte Ettmayer Ende Sept. 1917 ohne Kommentar seinen Aufsatz „ Sprachverwandtschaft“ (S.B der kön. preuss. Akad. d. W. 1917 S. 518-529) zugeschickt, in dem auf S. 520 Anm. 1 zu lesen ist: „So konnte kürzlich das von ASCOLI schon zusammengefügte Ladinisch (Rätoromanisch) von ASCOLI's Schüler und Nachfolger C. SALVIONI als eigene Mundartengruppe aus dem Grundbuch der Romania getilgt werden ( Ladinia e Italia , Pavia 1917). Natürlich mit wissenschaftlichen Mitteln; aber auch ohne ausserwissenschaftlichen Antrieb?" Auf einer Postkarte vom 9. Oktober hatte Ettmayer geantwortet: „Zu meiner grossen Enttäuschung, ja Erbitterung habe ich p- 520 Ihre , Sprachverwandtschaft‘ gelesen. Dass Sie S. gegenüber Ascoli Recht geben, obwohl S. im Verlaufe seiner Arbeit immer wieder zeigte, dass er von der ladinischen Sprachgeschichte nichts versteht und seine Tätigkeit gegenüber A. einen gewaltigen Rückschritt bedeutet. Wenn Sie mir die , Ladinia e Italia ‘ zusenden würden, wäre ich Ihnen dankbar. Zum mindesten hätten Sie meines Protestes R. J. B. III Tirolische O. N. # Ethnologie p. 9 gedenken sollen“. Auch in der weiteren Korrespondenz konnten Lehrer und Schüler offenbar kein Einvernehmen erzielen. Becker, ohne besondere Sachkenntnis der strittigen Frage, versucht zu vermitteln. Sollte dies ein Grund sein, dass seine Korrespondenz mit Schuchardt zu diesem Zeitpunkt abbricht? Oder lag es daran, daß Becker jetzt in Leipzig lehrte und damit kein österreichischer Kollege Schuchardts mit Wiener Insiderwissen war?

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 00897)