Elise Richter an Hugo Schuchardt (35-9554)

von Elise Richter

an Hugo Schuchardt

Unbekannt

18. 03. 1916

language Deutsch

Schlagwörter: Neuphilologische Blätter Erster Weltkrieg Manifest der 93 Collège de France Schuchardt, Hugo (1916) Schuchardt, Hugo (1915)

Zitiervorschlag: Elise Richter an Hugo Schuchardt (35-9554). Unbekannt, 18. 03. 1916. Hrsg. von Bernhard Hurch (2009). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.312, abgerufen am 08. 05. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.312.

Printedition: Hurch, Bernhard (2009): "Wir haben die Zähigkeit des jüdischen Blutes!" Leo Spitzer an Elise Richter. In: Grazer Linguistische Studien. Bd. 72., S. 199-244.


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Verzeihen Sie, hochverehrter Herr Hofrat, dass ich Ihnen erst heut für Ihren Bédiér-Artikel danke, der mich natürlich ausserordentlich interessiert hat.1 Von Bédiér2 hätte ich es nicht erwartet. Warum sind denn wir Deutsche überall vogelfrei, auch in den Kreisen, wo man bei uns ein vorurteilsfreies Denken für das einfach Selbstverständliche nimmt?! Sollten wir wirklich gerechter sein? Ich empfinde mit Wiederwillen [!]3, wie in jedem einzelnen Lande dieselben Reden geführt werden.

Ihre sehr ergebene
Elise Richter

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1 Hugo Schuchardt (1916b) 'Nochmals zum Fall Bédier'. Dieser bezieht sich auf H.S. (1915b) Französische Kriegsliteratur und druckt - neben einem weiteren Brief - den dortigen Beitrag nocheinmal ab. Im Rahmen des Weltkriegs hat sich eine Polemik über den philologischen propagandistischen Umgang mit kriegsideologisch verwertbaren Aussagen und Niederschriften von Kriegsgefangenen entwickelt; Schuchardt wirft Bédier unlautere Hetze vor. Die Neuphilologischen Blätter, eine Zeitschrift des Cartellverbandes aus Leipzig, ist selbst aber politisch etwas fragwürdig. Die Bédier-Veröffentlichungen Schuchardts sind nur im Rahmen seiner weiteren kriegspropagandistischen Schriften (z.B. gegen Theophilo Braga und die portugiesische Akademie, die sich gegen das Manifest der 93 ausgesprochen hatte); die Publikationstätigkeit Schuchardts beschränkt sich im Jahr 1915 fast ausschließlich auf politische Polemiken, auch 1916 überwiegen diese noch. Vgl. dazu auch den Briefwechsel mit Caroline Michaëlis de Vasconcellos.

2 Joseph Bédier (1864-1938), französischer Romanist, lehrte in Freiburg (CH) und danach am Collège de France, Literaturwissenschaftler und Philologe des Altfranzösischen. 1915 veröffentlicht er zwei Schriften über die Verbrechen deutscher Soldaten, bzw. die Reaktionen Deutschlands darauf. Vgl. das Manifest der 93. Einen Briefwechsel zwischen Bédier und Schuchardt scheint es nicht gegeben zu haben. Wohl gibt es aber vier Briefe Bédiers an Richter (ÖNB, Signatur 264/16).

3 Eckige Klammer im Original.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 9554)