Johannes Schmidt an Hugo Schuchardt (08-10101)

von Johannes Schmidt

an Hugo Schuchardt

Graz

24. 08. 1875

language Deutsch

Schlagwörter: Berufungen Universität Graz Romanische Philologie Biographisches Universität Halle Mussafia, Adolf Schenkl, Karl Wien [o. A.] ([o. J.])

Zitiervorschlag: Johannes Schmidt an Hugo Schuchardt (08-10101). Graz, 24. 08. 1875. Hrsg. von Bernhard Hurch und Johannes Mücke (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2789, abgerufen am 18. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2789.


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Graz d. 24. Aug. 1875.

Verertester Herr College!

Der grund weshalb ich Iren brief vom 8. d. m. nicht beantwortet habe, war ein 14 tägiger ausflug in das gebirge um mich etwas zu erholen. Bei meiner rückker fand ich disen brief nebst zweien1 Ires herrn vaters vor, welche eine antwort auf jenen unnötig machten. Ir eben eintreffendes schreiben vom 20. d. m. beantworte ich sofort.

Es zimt mir nicht die motive, welche Sie zu Irem entschlusse, den ich aufs tiefste beklage, bestimmt haben, zu kritisieren. Ich will Inen nur die tatsächlichen folgen Irer entschließung für uns zur beurteilung anheim geben.

Sie wissen, daß in maßgebenden kreisen eine große abneigung gegen jede berufung eines Deutschen waltet. Ferner ist man ser empfindlich gegen zurückweisung eines mit kaiserlicher genemigung gemachten anerbietens. Die facultäten haben sich daher zu versichern, dass die von inen vorgeschlagenen candidaten eventuell, wenn ire bedingungen acceptiert werden, den ruf an nemen. Solches ist in dem facultätsvorschlage ausdrücklich zu bemerken. Das ministerium tritt mit dem betreffenden erst nach einholung der kais. genemigung in verhandlung. Eine ablehnung in disem stadium der angelegenheit ruft tiefe verstörung hervor. Und so ist zu befürchten, ja mit sicherheit zu erwarten, dass Ire ablehnung wider auf lange zeit hinaus jede berufung aus Deutschland unmöglich gemacht hat. Uns trifft dis besonders hart, weil ein vorschlag, der nur deutsche namen enthält, schon in Wien ligt, ein anderer änlich beschaffener folgen soll. Sie können versichert sein, dass Sie nicht den ruf erhalten hätten, wenn ich nicht auf Iren vorletzten brief, der Mussafias äußerungen enthielt, eine geharnischte vorstellung an Heider2 los gelaßen und Mussafias |2| intriguen enthüllt hätte. In disem briefe bin ich bis an die grenze des erlaubten gegangen, um Ire berufung durch zu setzen. Jetzt stehe ich dem ministerium gegenüber in höchst zweideutiger stellung. Man wird ein abgekartetes spil argwönen. Sie können zwar versichert sein, dass Sie nie den ruf erhalten hätten, wenn wir auch nur einen Österreicher neben Inen genannt hätten. Jetzt, da der einzige von uns vorgeschlagene candidat abgelehnt hat, kann das ministerium uns jeden beliebigen protégé Mussafias oder Schenkls octroyieren one uns zu fragen und wird es vermutlich tun.

Hätten wir eine anung davon gehabt, daß Ire entscheidung so fallen würde, wie sie gefallen ist, so würde die facultät natürlich ausser Inen noch andere vor geschlagen haben, und ich würde mich gehütet haben, mich so bloß zu stellen, wie ich es jetzt ganz erfolglos getan habe. Alles was von hier aus geschehen ist, geschah nur in dem festen vertrauen, daß Sie an nemen würden. Hätten wir dis vertrauen nicht durch Ire früheren erklärungen gewonnen, so wären Sie nie in die lage gekommen zwischen der Grazer professur und einer gehaltserhöhung in Halle zu wälen. Ir eigenes jetzt ruhigeres urteil wird Inen also wol sagen, daß Sie, nachdem die sache so weit gedihen war, nicht mer wälen durften. Wälen konnten Sie bei unserer ersten anfrage, welche ich ausdrücklich so stilisiert hatte, daß Sie sie dem preuß. ministerium vor legen und eventuell dadurch eine gehaltsverbesserung erhalten konnten.

Seien Sie versichert, daß ich weit entfernt davon bin Irem entschluße unedle beweggründe unter zu schieben. Sie haben eben in der aufregung des entscheidenden momentes nur die Inen zunächst liegenden umstände erwogen. Die tatsache steht aber leider unabänderlich fest, |3|daß Sie unserer facultät einen schweren schlag versetzt haben, dessen schwere eben nur der ganz fült, der in den hier fortwärend mit einander ringenden bösen und guten einflüßen mitten inne steht. Mich trifft er am allerhärtesten, denn ich bin dem ministerium gegenüber compromittiert, habe die todfeindschaft von Mussafia, Schenkl etc. auf mich geladen und bin nun den Altösterreichern mit gebundenen händen überlifert, mit dem verdachte eines falschen spiles behaftet. Sie haben das nicht beabsichtigt, warscheinlich auch in disem umfange nicht einmal geant, aber die schuld an allem dem tragen Sie dennoch.

Die ansicht, daß Ire berufung an der zugemuteten verpflichtung auf sechs jare so wie so gescheitert wäre, halte ich nicht für richtig, man versucht eine solche verpflichtung jetzt von jedem zu erhalten, gibt aber disen versuch auf, sobald er auf entschidenen widerstand stößt. Mir hat man die selbe verpflichtung auf erlegen wollen, ist aber bei meiner weigerung davon abgestanden.

Indem ich nochmals mein tiefstes bedauern über den ausgang unserer angelegenheit ausspreche, bleibe ich

in vorzüglicher hochachtung

Ir

ergebenster

Johannes Schmidt.

Irem herrn vater habe ich auf sein verertes schreiben in änlichem sinne geantwortet.3


1 Beide Schreiben sind nicht erhalten. Nur die Antwort auf Schmidts Antwort an Ernst Schuchardt, die auf den 24.8.1875 datiert ist, hat sich als Abschrift im Nachlass Schuchardts erhalten (dort Nr. 10278; siehe vorstehenden Brief).

2 Der Jurist und Archäologe Gustav Frh. von Heider (1819-1897) war zu diesem Zeitpunkt Sektionschef im Ministerium für Kultus und Unterricht (vgl. [o. A.] 1958, Bd. II, S.16). Schuchardt führte später selbst die Verhandlungen über seine Berufung mit ihm weiter.

3 Vgl. Brief Nr. 10100 im Nachlass Schuchardts von Johannes Schmidt an Ernst Schuchardt.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 10101)