Johannes Schmidt an Hugo Schuchardt (06-10098)

von Johannes Schmidt

an Hugo Schuchardt

Graz

06. 07. 1875

language Deutsch

Schlagwörter: Berufungen Universität Graz Romanische Philologie Biographisches Universitätsangelegenheiten Universität Halle Universitäten Dilthey, Karl Mussafia, Adolf Wien Österreich Hurch, Bernhard (2007)

Zitiervorschlag: Johannes Schmidt an Hugo Schuchardt (06-10098). Graz, 06. 07. 1875. Hrsg. von Bernhard Hurch und Johannes Mücke (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2786, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2786.


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Graz d. 6. 7. 75.

Verertester Herr College!

Ire briefe vom 1. und 4. d. m. habe ich richtig erhalten und danke Inen für deren schnelle übersendung. Ich habe auf grund derselben auch schon den entwurf des commissionsberichtes fertig und denke, daß in ungefähr acht tagen unser vorschlag nach Wien abgehen kann. Wir haben in unserem berichte dem ministerium die sache möglichst eilig gemacht, da es unser wunsch ist die professur schon zum winter besetzt zu sehen. Welchen erfolg diser wunsch haben wird, können wir natürlich nicht berechnen, ich kann Inen also auch weiter keine auskunft auf Ire frage wegen der zeit Irer berufung geben. Bisweilen erledigt das ministerium solche dinge schnell, läßt sie aber auch nicht selten monate lang ligen. Ich bitte Sie also auf jeden fall nicht die geduld zu verliren, wie uns das jetzt mit Dilthey geschehen ist, der sich ein bildete, das ministerium würde in sofort nach eintreffen unseres vorschlages berufen und nun unwirsch ist, da die erwartung sich nicht erfüllt hat.

Daß Mussafia1 Inen wol will, wird ser zum guten verlaufe der sache bei tragen. Im ministerium ist man nämlich zu allen zeiten in allen dingen unorientiert und fragt, da man jedem facultätsvorschlage mißtraut, über jeden vorschlag ein mitglied einer anderen universität, in unserem falle wird also Mussafia sicher um sein gutachten ersucht werden. |2|

Für die pensionierung von statsbeamten gelten folgende sätze. Man erhält

nach 10 – 15 dienstjaren*) 1/3 des gehaltes

15 – 20 3/8

20 – 25 4/8

25 – 30 5/8

30 – 35 6/8

35 – 40 7/8

Von den leuten des lerstandes wird aber an genommen, daß sie 1/4 mer arbeit und ärger haben als die übrigen beamten. Daher ist bestimmt, daß bei inen je 3 Jahre so hoch gerechnet werden wie bei den anderen 4, also daß sie mit 15 jaren 4/8, mit 30 jaren das ganze gehalt als pension beziehen u.s.w. Ich glaube aber, daß Sie Sich wegen der eventuellen pensionierung unnötige sorgen machen, denn der fall, daß Sie dauernd ganz unfähig werden sollten die 5 stunden vorlesungen, zu welchen man verpflichtet ist, zu halten, ist wol kaum an zu nemen. Außerdem ist man ser nachsichtig und drückt gern lange die augen zu, auch wenn jemand notorisch unfähig geworden ist sein amt fort zu füren, z.b. der vor einem Jahre verstorbene Röster2 hat viele semester lang schon keine vorlesungen mer halten können, es war voraus zu sehen, daß er nie mer dazu im stande wäre, aber an pensionierung hat niemand gedacht. Sie werden überhaupt finden, daß man hier nie gern jemand in seinen einnamen beeinträchtigt sondern möglichst durch die finger siht, wenn es irgend geht. |3| Die Wittwenpension beträgt hier 500 fl. jährl., tritt aber erst ein, wenn der mann 10 Jahre im dienste war. Wittwencassenbeiträge wie in Dtschl. werden nicht gezalt, an ire stelle tritt die sogen. carenztaxe, d. h. der dritte teil des ersten jaresgehaltes sowie später das drittel des betrages, um welchen sich das jaresgehalt erhöht wird [sic], im ersten jare diser erhöhung wird für die witwencasse einbehalten. Wenn Sie also den ruf vom minist. erhalten, so versäumen Sie nicht folgende zwei bedingungen sich ausdrücklich gewären zu laßen, welche jedem hereinberufenen, z. b. auch mir, unbesehens gewärt sind: 1. erlaßung der carenztaxe, 2. zugeständniss, daß Ire eventuelle witwe sofort pensionsfähig ist, auch wenn Sie vor 10 dienstjaren sterben sollten. Endlich vergeßen Sie nicht, Sich Ire dienstzeit in Halle3 anrechnen zu laßen, als ob sie in Öster. zu gebracht wäre.

Wegen Irer eigenen eventuellen pensionierung bitte ich aber auf keinen fall eine bedingung zu stellen, denn sonst würde das ministerium sofort argwönen, daß Sie krank wären und Sie dann gar nicht berufen, denn man beruft hier nur gesunde leute, aus furcht sich mit pensionären, an denen man unendlichen überfluß hat, noch weiter zu beladen.

Hegen Sie sorgen in diser hinsicht, so können Sie ja bei dem ersten rufe, den Sie hier erhalten, eine darauf bezügliche bedingung stellen. So ist doch sicher an zu nemen, daß Sie in ein par jaren wider einen ruf erhalten, und dann können Sie, wie ich Inen schon schrib, recht bedeutende forderungen stellen, falls Sie hier zu bleiben gedenken, man wird sie Inen sicher bewilligen, denn man läßt ungern jemand, den man einmal herein berufen hat, wider gehen.

Ich brauche Sie wol nicht zu bitten sich durch alle die unzweckmäßigen und zum großen teile unseren erörterungen, welche jetzt über |4|die stellung der deutschen professoren in Öster. durch deutsche journale gehen, nicht irre machen zu laßen. Ich befinde mich hier ser wol, wie Sie schon daraus sehen können, daß ich vor zwei monaten eine anfrage von Heidelberg abgelehnt habe. Wer sich hier nicht selbst seine stellung verdirbt, hat sich über nichts zu beklagen außer etwa über mangel an wißenschaftlicher anregung, die ja aber auch nicht auf allen deutschen universitäten zu finden ist.

Ich bitte mir nun nur noch recht bald Ire wünsche hinsichtlich des gehaltes mit zu teilen**), damit wir durch unseren vorschlag Ire interessen fördern können.

Mit den herzlichsten grüßen


Ir Johannes Schmidt.

*) Bei pensionierung vor dem 10. jare wird als abfindung ein für alle mal, noch ein bis anderthalb jaresgehalt gezalt, keine fortlaufende pension.

**) den 7/7 morgens. Eben erhalte ich Ire zustimmung zu den 2500 + 480, wir werden nun unverzüglich unseren vorschlag machen können.


1 Schuchardt und der Romanist Adolf Mussafia (1835-1905) waren zu diesem Zeitpunkt schon länger miteinander bekannt und befreundet. Der umfangreiche Briefwechsel zwischen beiden wurde von Lichem & Würdinger (2015) herausgegeben. Aus einem undatierten Brief von Mussafia geht hervor, dass sich Schuchardt bei ihm über die Professur in Graz erkundigt hat (vgl. dort Nr. 19-07642). Vgl. den folgenden Brief von Schmidt an Schuchardt (Nr. 07-10099).

2 Konnte nicht ermittelt werden.

3 Schuchardt war von 1873 bis 1876 Professor für Romanische Philologie in Halle.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 10098)