Ernst Lewy an Hugo Schuchardt (3-06449)

von Ernst Lewy

an Hugo Schuchardt

Unbekannt

06. 03. 1922

language Deutsch

Schlagwörter: Dankschreiben Gedicht Zeitschrift für romanische Philologie Anthropos Rezension Grammatikographie Biographisches 80. Geburtstaglanguage Baskisch Ginneken, Jacques van Urtel, Hermann Lewy, Ernst (1922) Wolf, Michaela (1993) Schuchardt, Hugo (1893)

Zitiervorschlag: Ernst Lewy an Hugo Schuchardt (3-06449). Unbekannt, 06. 03. 1922. Hrsg. von Petra Hödl (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2579, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2579.

Printedition: Hödl, Petra (2015): "Dass es in der Sprachwissenschaft kriselt, freut mich." Die Briefe von Ernst Lewy an Hugo Schuchardt. In: Grazer Linguistische Studien. Bd. 80., S. 267-321.


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Sehr verehrter Herr Professor!

Entschuldigen Sie gütigst, dass ich Sie schon wieder in der Arbeit störe, aber Ihr Brief mit der mir so werten Beilage1 verlangt sofortigen Dank. Ich erlaube mir auch ein Gedicht – mein einziges gedrucktes2 – beizulegen, mit einem Aufsatz3, den Sie allerdings bald in der Zschr. f. R. Ph. finden werden.

Wenn ich mich über H. van Ginneken geirrt habe, würde ich mich freuen; aber auch andere hatten damals den Eindruck persönlicher Schmähung trotz vieler, auch lobender Worte. Ich kann die Stelle nicht heraus schreiben, weil mir der ‘Anthropos’, wie ach! so vieles, noch fehlt; sie ist versteckt, verdeckt, aber fürcht ich, doch vorhanden. Mit dem scharfen, aber immer humanen und sachlichen Ton Ihrer Kritiken kann jene nimmer mehr verglichen werden.

Nur, um nicht ganz sicheres mit unsicherem zu vermischen, habe ich in meinem Briefe nicht erwähnt, dass damals in Lichterfelde sich in der Tat das, dessen Finck bezichtigt wurde, ereignet haben soll, dass aber der Ausübende ein sehr hochgestellter Herr war, den zu ergreifen die Behörden keine Veranlassung fanden. Finck ging, wie gesagt, aus dem wiederaufgenommenen Prozess völlig |2| gereinigt hervor. Ohne das wäre die so lange schwebende Ernennung zum Extraordinarius wohl auch nicht Tatsache geworden. –

Ich empfinde es zwar als eine Art Ungezogenheit, wenn ich diesen Wunsch äussere; aber ich wünschte einmal eine Grammatik, eine völlige Darstellung einer Sprache von Ihrer Hand zu sehen. Die baskischen Studien I.4 sind mir zu schwer (vielleicht oder wahrscheinlich, weil ich kein Baskisch kann), worin mir aber unser Freund Urtel5 hilft! Prinzipiellen Forderungen ist nirgends so schwer genug zu tun, als im einfachsten, im elementarsten.

Doch genug! soviel zu sagen wäre.

Es wird Frühling, und es ist gewiss sehr schön zur Zeit in Graz.

Mit dem Wunsche guten Befindens und den besten Grüssen in aufrichtiger Verehrung

Ihr ergebener

Ernst Lewy.
6. 3. 22.

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[Diesem Brief ist folgendes gedruckte Gedicht angefügt:]

Nicht lange dauert’s mehr, daß ich noch geh in dieses Haus.

Denn, der drin wohnte, lang ging er schon fort,

Der gut mir half auf meinem Wege weiter fort,

Und dem auch ich ein etwas war.

Heut weiß ich’s besser, – heute ist er tot –

Und Scham und Scheu sind heut verstummt.

Heut fühl ich’s gut, was er mir war,

Heut hoff ich’s nicht nur, wohl, daß ich auch ihm.

Nicht lange geh ich mehr in dieses Haus.

Denn der drin wohnte, der ist fort.

Nur Hauch und Schatten ist in seiner Wohnung noch.

Bald ist sie leer, und fremd das Haus – wie niegesehn.

Nun geh ich weiter. Jedes gute Ziel,

Nicht prüfen kann er’s mit, nicht freuen sich,

Daß ich’s erreichte. O, das half auch viel.

Jedes Ziel,

Jetzt muß ich selber prüfen doppelt scharf,

Ob es auch gut, das Ziel, ob brav der Weg.

Jetzt hilft mir keiner weiter, nur ich selbst.

Verzagter Unsinn. Noch ein gutes Stück

Von ihm ist in mir und hilft weiter mir.

Unsterblich eingeschaffen ist in mich

Von seinem Sein ein Stückchen gute Kraft

Zu helfen weiter und zu prüfen scharf,

Was wir am schweren Werke schaffen müssen,

Am guten und am schweren schaffen wollen.

Zu ihm doch geh ich nicht mehr in sein Haus.

Mai 1910

[handschriftlicher Zusatz:]

März 1922.
Ernst Lewy.

Herrn Professor Hugo Schuchardt mit herzlichem Gruss im Gedenken an unseren Freund und Gegner F. N. Finck.


1 Schuchardt hat Lewy höchstwahrscheinlich zum Dank für seine Glückwünsche im vorigen Brief sein Gedicht geschickt, das er den Gratulanten zu seinem 80. Geburtstag gewidmet hat (Schuchardt 1922a).

2 Es konnte leider nicht eruiert werden, wo dieses Gedicht abgedruckt wurde.

3 Lewy (1922b). Dieser Aufsatz befindet sich in Schuchardts Nachlass (vgl. Wolf 1993: 569).

4 Schuchardt (1893). Baskische Studien I. Über die Entstehung der Bezugsformen des baskischen Zeitworts.

5 Hermann Urtel (1873-1926), Romanist aus Hamburg, der zur romanischen Dialektologie, v.a. aber auch zum Baskischen publizierte.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 06449)