Matthias de Vries an Hugo Schuchardt (11-12558)

von Matthias de Vries

an Hugo Schuchardt

Leiden

01. 07. 1883

language Deutsch

Schlagwörter: Biographisches Volksmusik Volkslied Königliche Bibliothek (den Haag) Druckwesenlanguage Afrikaanslanguage Englischbasierte Kreolsprachen (Surinam)

Zitiervorschlag: Matthias de Vries an Hugo Schuchardt (11-12558). Leiden, 01. 07. 1883. Hrsg. von Jörg Ahlgrimm-Siess und Johannes Mücke (2013). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.1089, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.1089.

Printedition: Ahlgrimm-Siess, Jörg; Mücke, Johannes (2012): „Ich bin auf der Jagd nach einigen in Holland gedruckten Schriften...“ Der Briefwechsel zwischen Matthias de Vries und Hugo Schuchardt.. In: Grazer Linguistische Studien. Bd. 78., S. 7-61.


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Leiden, 1. Juli '83.

Verehrter Herr College,

In einigen Tagen denke ich abzureisen, um mir die Sommer-Ferien (die bei uns früher anfangen) zu Nutzen zu machen. Theilweise werde ich die Zeit in Deutschland zubringen. Hätten Sie mir etwas mitzutheilen, so adressiren Sie es gefälligst nach Göttingen (Hotel zur Krone), wo ich wahrscheinlich zwischen 12. und 16. Juli mich aufhalten werde. Nachdem bin ich der Absicht, eine Partie im Schwarzwald zu machen. Wie schön wäre es, wenn der Zufall Sie vielleicht auch dorthin führte und wir einander irgendwo begegnen und einen Tag zusammen zubringen dürften.|2| Ich will aber jetzt Leiden nicht verlassen, ohne Ihren Brief vom 15. Mai1 beantwortet und einer früheren Versprechung Folge geleistet zu haben. Ich sende Ihnen also anbei die vier Transvaalschen Lieder,2 von denen ich Ihnen schrieb, in genauer [MdV am linken Rand: von mir verificierten] Abschrift nach den Tagblatt-Ausschnitten, die ich meinem Freunde Prof. Veth verdanke. Das Volkslied wird Ihnen vielleicht schon bekannt sein, aber „Supervacua non nocent“.

Kennen Sie ein Büchlein u.d.T. „Afrikaanse Gedigte. Twede versameling. O'ergedruk uit die „Patriot.“ Paarl, D. F. Du Toit enC: 1881.“3 168 Seiten.

Es kam mir neulich in die Hände. Die erstere Sammlung aber habe ich nicht gesehen.

Was den Pieter van Dijk betrifft, er war gewiss ein obskurer Mann, und ich habe nichts weiteres von ihm erfahren können als den Titel seines Buchs. Die Frage nach der|3| Zeit, in welcher das Buch erschienen ist, hängt, wie Sie richtig urtheilten, von der Lebenszeit der Firma ab, die das Buch gedruckt hat. Ich habe darüber von Herrn Dr. Campbell, Kön. Bibliothekar im Haag, dem besten Kenner der typographischen Geschichte, eine Nachricht erbeten, und er antwortete mir Folgendes:

„Nach der einzigen und ziemlich zuverlässigen Autorität in derartigen Angelegenheiten, Dr. A. M. Ledebaer, Alfabetische lijst der boekdrukkers, boekverkoopers en uitgevers in Noord-Nederland (Utrecht, J. L. Beijers, 1876, in 4to), S. 51, Lp. 2, druckten de Erven Wed. Jacobus van Egmont4 von 1778-1787 in Amsterdam. Vielleicht aber muss dieser Termin einige Jahre früher vorgerückt werden, da die Buchdruckerei der Wed. Jacobus vanEgmont, deren Fortsetzer die Erben waren, von 1728-1761 gearbeitet hat. Zwischen 1761 und 1778 werden in dieser Druckerei auch wohl Bücher gedruckt sein, aber von denen weiss man nicht, ob sie der Wittwe selbst oder den Erben zum Guten kommen.“

Jedenfalls ergibt sich also, dass Van Dijk's Buch nicht jünger sein kann als 1787, und deshalb unbedingt älter ist als die in 1798 erschienene Leerwyze von Weygandt.5

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Im Betreff der Sprachlichen und orthographischen Verschiedenheiten zwischen den beiden Verfassern, daraus lässt sich für die Zeit der Abfassung gar nichts folgern. Die Schreibweisen des Van Dijk, die Sie erwähnen, sind nicht eben alterthümlicher als die von Weygandt, sondern nur rustiker und volksmässiger nach der rohen Sprache der damaligen Zeit in entfernten Ländern. Augenscheinlich hat Weygandt die ungebildete Orthographie seines Vorgängers in mehr regelmässige Formen umgeschrieben.6

Das[s] vD7Koningshuis hat, W.8 dagegen Stadhuis, wird wohl der 1795 im Mutterlande eingetretenen democratischen Revolution zuzuschreiben sein. Wahrscheinlich war das Haus zu Ehren des „Stadhouders“ Wilhelm III (König von England) Koningshuis genannt, dürfte aber nach 1795 diesen damals verhassten Namen nicht mehr tragen und wurde daher recht bürgerlich Stadhuis genannt.

Mit den besten Wünschen für Ihr Wohlergehen grüsset freundschaftlich

Ihr

M de Vries


1 Dieser Brief Schuchardts liegt nicht vor.

2 Die „vier Transvaalschen Lieder“ wurden im Nachlass bislang noch nicht aufgefunden.

3 Schuchardt war bereits im Besitz dieses Buches und teilte dies de Vries in seiner ersten Kontaktaufnahme mit (siehe Brief Lfd. Nr. 1).

4 Jakobus van Egmond (1686-1724) war Schriftsetzer und Buchdrucker populärer Werke seiner Zeit, der unter anderem durch die Veröffentlichung zahlreicher Plagiate zweifelhaften Ruhm erlangte. Nach seinem Tod führten seine Witwe (Wed.) und deren Erben (Erven Wed.) die Druckerei fort (Borms 2001-2010).

5 Weygandt, G. C. (1798). Gemeenzaame leerwyze om het basterd of neger-engelsch op een gemakkelyke wyze te leeren verstaan en spreken. Paramaribo: W.W. Beeldsnijder.

6 Im Werkmanuskriptnachlass Schuchardts befindet sich unter der Signatur 11.3.9. ein Notizbuch Schuchardts mit dem Titel „Negerenglisch (Surinam)“. Auf den Seiten 4 bis 10 ist eine handschriftliche Gegenüberstellung verschiedener Textpassagen von „van Dyk“ und „Weygandt“ unter der Überschrift „Inhaltsangabe“ zu finden. Schuchardt vergleicht offenbar einige Stellen aus den oben genannten Werken van Dijks und Weygandts miteinander.

7 van Dijk.

8 Weygandt.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 12558)